Gespräch mit Heidrun Hegewald

Die diesjährige Berlinfahrt der KunstGesellschaft Frankfurt am Main stand unter dem Thema „Künstler und Geschichte – Geschichte und Künstler“. Anlass für die Themenwahl waren Jahrestage: 70 Jahre Kriegsende und Befreiung vom Faschismus – 25 Jahre „Vereinigung“ der beiden deutschen Staaten der Nachkriegszeit. Wir wollten neben dem Besuch von Ausstellungen und Geschichtsorten auch exemplarisch mit Künstlerinnen und Künstlern sprechen und vereinbarten deshalb Treffen mit der Malerin Heidrun Hegewald und dem Grafiker und Plakatmacher Ernst Volland.

Zeichnungen von Heidrun Hegewald hatten wir zusammen mit Grafiken von Nuria Quevedo 1984 in der „Galerie im Bunker“ ausgestellt, die wir damals in Frankfurt am Main, zu Gast beim Christlichen Friedensdienst, betrieben. Die Ausstellung unter dem Titel „Kassandra-Zyklen“ sollte auch auf die Gefährdung des Friedens durch die „Nachrüstung“ mit Mittelstrecken-Raketen und die reale Drohung hinweisen, dass der Kalte Krieg doch noch in eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen West und Ost umschlagen könnte. Unser Galerieprojekt verstand sich als Teil der Friedensbewegung, die zu dieser Zeit in der Bundesrepublik Hunderttausende mobilisierte.

Ein weiterer Anlass dafür, das Gespräch mit Heidrun Hegewald zu führen, war, dass Prof. Dr. Georg Bussmann, der unsere Gruppe begleitete, in den 1980er Jahren versucht hatte, die Künstlerin an die Gesamthochschule Kassel zu einem Vortrag einzuladen. Sie bekam damals keine Reisegenehmigung von den Behörden der DDR.

Wir konnten Heidrun Hegewald am 11. Juni in den Galerieräumen der Gesellschaft zum Schutz von  Bürgerrecht und Menschenwürde in Berlin treffen, wofür wir sehr dankbar waren. Es ist ein Ort, mit dem sie in besonderer Weise verbunden ist. Mehrfach wurden Bilder von ihr hier ausgestellt.

Das Gespräch ging von einigen Arbeiten der Künstlerin aus, die sie exemplarisch aus ihrer Werkmonographie zeigte („Heidrun Hegewald – Zeichnungen, Malerei, Graphik, Texte“. Arte-Misia-Press, Berlin 2004). Entsprechend der von uns praktizierten Methode des Bildergesprächs beteiligten sich Mitglieder der Gruppe an der Interpretation der Bilder. Heidrun Hegewald berichtete in diesem Zusammenhang darüber, wie ihre Bilder immer wieder zu Auseinandersetzungen anregten und dass dies ganz in ihrem Sinn sei.

Was für die meisten der Besucherinnen und Besucher aus dem Westen sicherlich neu war, waren ihre Aussagen über die Rolle der Kunst in der DDR. Diese sei kaum zu überschätzen. Daraus habe sich ergeben, dass die Künstlerinnen und Künstler ernst genommen wurden, dass sie eine Macht hatten, die sie nutzen konnten.

Im Gegensatz dazu stelle die heutige Marktfreiheit für die Künste eine Augentäuschung dar. In Wirklichkeit setzten sich auf dem Kunstmarkt – ohne offene Zensur – eher solche Werke durch, die das Gegenteil eines künstlerischen Realismus repräsentieren. Bei den Ausstellungen der Museen gehe es immer mehr um spektakuläre Events, um möglichst große Besucherzahlen und die leichte Konsumierbarkeit des Gebotenen.

Wir waren uns mit Heidrun Hegewald einig, dass Realismus keine Stilfrage ist, sondern – im Sinne von Bertolt Brecht oder Peter Weiss – eine Frage der Haltung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Künstlerin betonte, dass sie sich als Realistin versteht, aber nicht wegen der „Wiedererkennbarkeit“ ihrer Porträts, ihrer Szenen und Landschaften. Im Gegenteil: Gerade die symbolisch hoch verdichteten, auf Mythen anspielenden Darstellungen mit Anklängen ans Fantastische und „Surreale“ sind dazu in der Lage, etwas über das Wesentliche hinter den Erscheinungen zu sagen und die Widersprüchlichkeit der Verhältnisse aufzudecken.

Am Beispiel ihres Bildes „Kind und Eltern“ von 1976 diskutierten wir die von einem Teilnehmer aufgeworfene Frage, ob eine solche Malerei in Inhalt und Machart noch zeitgemäß sei. Das wurde von den anderen einhellig bejaht. Die Wirkung des Bildes sei unvermindert stark, es betreffe jeden. Heidrun Hegewald sagte, dass dieses Bild das in der DDR bekannteste überhaupt gewesen sei. Es hatte seinerzeit heftige Debatten ausgelöst und war in der Presse vielfach reproduziert worden.

Nach unserer Rückkehr machten wir die Probe aufs Exempel. Bei einer Diskussion über das Buch „Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld“ von Markus Metz und Georg Seeßlen im Frankfurter Club Voltaire zeigten wir Heidrun Hegewalds Bild, ohne zunächst zu sagen, von wem es stammt und wo und wann es entstanden ist. Die Anwesenden waren sehr beeindruckt, selbst eine Teilnehmerin, die vorher von den aufgeblasenen Skulpturen von Jeff Koons geschwärmt hatte.

Ungläubiges Staunen, als die weitere Geschichte des Bildes erzählt wurde: Seinerzeit vom Berliner Magistrat im Wege der Künstlerförderung angekauft, aber bei der Künstlerin wie damals üblich verblieben, musste sie es nach dem Ende der DDR auf eigene Kosten an die neuen Behörden ausliefern. Die ließen es im Depot verschwinden.

Auch in der Ausstellung „Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen“ (Weimar 2012) wurde das Bild nicht gezeigt. Vielleicht weil es zu schmerzhafte Fragen stellt?

Die KunstGesellschaft wird sich im Herbst anlässlich der in Frankfurt am Main geplanten Jubiläumsfeierlichkeiten erneut mit dem „deutsch-deutschen Bilderstreit“ und dem Verhältnis von Kunst und Politik auseinandersetzen. Unser Besuch in Berlin und das Gespräch mit Heidrun Hegewald haben dazu vielfältige Anregungen ergeben.
Reiner Diederich

Aus: Akzente. Monatszeitung der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde, Juli/August 2015