Mythos und Moderne – 125 Jahre Künstlerkolonie Worpswede

Kunstreise der KunstGesellschaft Frankfurt vom 6. bis 10. Juni 2014
Ein Reisebericht von Marlies Füller
Fotos von Klaus Teichler

Nach einem Vortreffen war unter den Reiseteilnehmern die Vorfreude auf unsere fünftägige Kunstreise in die Künstlerkolonie Worpswede deutlich zu spüren.  Marlies Piontek-Klebach,  Reiner Diederich und  Gerrit Marsen hatten uns neugierig gemacht auf die Sonderausstellung „Mythos und Moderne“. Sie gaben uns erste Einblicke in das Schaffen von Paula Modersohn-Becker, Otto Modersohn, Fritz Mackensen und Heinrich Vogeler. Dabei wurde angerissen, wie Ideologien die Künstler beeinflussten und wie sie sich in ihrer Zeit dazu positionierten.

Am Freitag, dem 6. Juni, traten wir unsere Reise mit der Bahn oder eigenen PKWs nach Worpswede an. Wir nahmen am Nachmittag Quartier in verschiedenen Privatunterkünften in Neu St. Jürgen, einem Vorort von Worpswede. Bei unserer Ankunft standen für uns Fahrräder bereit, sodass wir eine erste Ortserkundung mit einer Kaffeepause im „Vogeler-Bahnhof“ unternehmen konnten. Den Tag ließen wir mit einem gemeinsamen Abendessen im Kunstzentrum „Alte Molkerei“ ausklingen.

schluhNach einem gemütlichen Frühstück bestiegen wir am Samstag die Räder und machten uns mit einem fröhlichen „Moin“ auf den Weg zum „Haus im Schluh“. Dort erwartete uns die Ausstellung „1889: Flucht in die Kunst – Aufbruch und frühe Erfolge“. Thematisiert wurde dort die Industrielle Revolution, die auch in Deutschland das Leben nachhaltig veränderte. Maschinen diktierten den Rhythmus des Lebens. Industrieanlagen und rauchende Schornsteine veränderten die Landschaft. Es begann eine Massenbewegung Arbeit suchender Menschen in die wachsenden Metropolen.
Ab 1889 fanden in Worpswede junge Künstlerinnen und Künstler zusammen, die sich den veränderten Lebensbedingungen in den Großstädten bewusst entzogen und in dörflicher Abgeschiedenheit, urtümlicher Landschaft und bäuerlicher Umgebung ein anderes, selbstbestimmtes Künstlerleben führten.
Exemplarische Werke der Worpsweder Künstler und Beiträge von Vorläufern und zeitgenössischen Künstlern aus Frankreich zeigen im „Haus im Schluh“ eindrucksvoll den Einfluss auf die kunstgeschichtliche Entwicklung.
Wir erfuhren die Geschichte des „Haus im Schluh“ und erhielten erste Einblicke in die „Heinrich-Vogeler-Sammlung“.
Anschließend bestiegen wir unsere Fahrräder, um den Ort oder das Teufelsmoor individuell zu erkunden.
Ein interessanter Vortrag mit Diskussion zum Thema „Kunst in Worpswede von 1933–45“ mit  Ferdinand Krogmann (Autor des Buches „Worpswede im Dritten Reich, 1933–45“) ließ das Programm an diesem Abend ausklingen.

Pfingstsonntag radelten wir zur Ausstellung „1897: Verkannte Moderne – eine Gegenüberstellung“ im Barkenhoff.
Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte des Barkenhoff und der „Heinrich-Vogeler-Sammlung“ beschäftigen wir uns mit der Gegenüberstellung einiger Werke von Paula Modersohn-Becker mit Bildern der Gründer der Künstlerkolonie und arbeiteten stilistische Auffassungen und die Wahl der Motive heraus.
Da uns ein Regenschauer überraschte, beschlossen wir, das Haus von Hans am Ende und die Zionskirche mit ihrem interessanten Friedhof individuell zu erkunden. Der Abend stand zur freien Verfügung.

Der Pfingstmontag war den Ausstellungen in der „Großen Kunstschau“ und der „Worpsweder Kunsthalle“ gewidmet.
Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte der „Großen Kunstschau“ unter Berücksichtigung der Werke des Architekten und Bildhauers Bernhard Hoetger und des  Kunstförderers und Sammlers Ludwig Roselius besuchten wir die Ausstellung „1918: Zeitenwende – Kunst und Weltanschauung“.

skulpturNach dem verlorenen Ersten Weltkrieg sind die unterschiedlichen Lebens- und Weltentwürfe von drei  Künstlern prägend für die Geschichte der Künstlerkolonie Worpswede:  des Pazifisten und Kommunisten Heinrich Vogeler, des nationalsozialistisch gesinnten Fritz Mackensen und des Architekten und Bildhauers Bernhard Hoetger, bei dem sich völkische Idealen mit einer Offenheit für unterschiedliche Weltkulturen verband.
Ihr Leben und ihre künstlerische Entwicklung  zeigen die Werke in Hoetgers „Großer Kunstschau“.

kaffee-worpswedeNach einer Einkehr im „Kaffee Worpswede“, gestaltet von Bernhard Hoetger, galt unser Interesse der Ausstellung „1945: Stunde Null – Neubeginn und Weg in die Moderne„ in der „Worpsweder Kunsthalle“. Vor dem Hintergrund von Worpswede als „niederdeutsches Musterdorf“ thematisiert  die Ausstellung die Verantwortung von Tätern und Mitläufern im nationalsozialistischen Regime.
In wenigen Ausstellungsbeiträgen versucht man die Kunst der „Alten Worpsweder“ darzustellen und ihre Bedeutung und Einflussnahme im Nationalsozialismus herauszuarbeiten.
Nach dem sehr informativen Vortrag von Ferdinand Krogmann zur Kunst in Worpswede im Nationalsozialismus hätten wir uns deutlich mehr Information und Aufklärung in Ausstellungsbeiträgen zu diesem Thema erhofft.
Auch der Weg Worpswedes in die Moderne war nur mit wenigen Werken demonstriert.
Bei einem gemeinsamen Abendessen in der „Alten Molkerei“ ließen wir unsere sehr interessante Kunstreise nach Worpswede ausklingen.

Am Dienstag traten wir unsere Rückreise nach Frankfurt an.

worpswede_14_gruppeMarlies Piontek-Klebach sei herzlich gedankt für die großartige Planung und Durchführung sowie für die fachlich kompetenten Ausführungen zu den Künstlern und Ausstellungen in Worpswede.
Ein weiterer Dank geht an  Gerrit Marsen, der durch einige Beiträge zum Leben und Werk von Heinrich Vogeler Wissenswertes beitrug.
______________________________________________

nebelRadeln durch eine wolkenbewegte Landschaft, der Himmel mit malerischem Licht und Schatten durchsetzt – eine mich beruhigende Landschaft –, entlang der wenigen mit Touristen besetzten Torfkähne in die verschiedenen Ausstellungshäuser, Moordorf und Künstlerkolonie Worpswede.
Ich bin verzaubert von den super recherchierten Lebens- und Beziehungsgeschichten der unterschiedlichen Künstler, die uns von Marlies Piontek-Klebach  spannend nahegebracht wurden. Bewegendes in den persönlichen, politischen und sozialen Leben der Menschen zu jener Zeit, in den Bildern wiederentdeckt. Die beiden Maler: der eine, Heinrich Vogeler, stirbt vereinsamt in der Sowjetunion in Kasachstan, der andere, Mackensen, wird im Hitlerreich gefeiert. Die Spiegelung dieser unterschiedlichen Lebensläufe und -einstellungen in den Werken ist spannend, ein Spagat in zwei extrem verschiedene Richtungen.
Die Mischung aus Kultur, Kunst, Information und Wind in den Haaren mit dieser genussvollen, kreativen Gruppe hat viel Freude gemacht.

Monika Rosenkranz

______________________________________________

Literaturtipps zum Weiterlesen:
Kerstin Decker: Paula Modersohn-Becker, Eine Biografie, List Verlag, 1. Auflage März 2009
Friederike Schmidt-Möbius: Worpswede, Leben in einer Künstlerkolonie, Philipp Reclam jun. GmbH, Stuttgart 2012